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Was eine künstliche Gebärmutter für unsere Gesellschaft bedeuten könnte

Brave New World lässt grüßen. Was früher Science-Fiction war, könnte schon bald zur Realität werden. Noch steckt die Technologie in den Kinderschuhen, aber in ein oder zwei Jahrzehnten könnte dies schon anders aussehen. Was ist jetzt schon möglich? Und wenn es uns eines Tages gelingen sollte, menschliche Embryonen in einer künstlichen Gebärmutter reifen zu lassen, welche Folgen hätte dies für unsere Gesellschaft?

STAND DER TECHNIK

Versorgung von Frühchen

Ein Bild, wie aus einem Science-Fiction-Film: In einem transparenten Plastikbeutel schwimmt ein ungeborenes Lämmchen in einer milchigen Flüssigkeit. Die Nabelschnur ist mit einer Maschine verbunden, die das kleine Wesen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Es hat die Augen geschlossen. In einem Monat wird man es auch dem Biobag entnehmen und es darf seinen ersten Atemzug machen.

Dieses Bild entstammt jedoch keinem Film, sondern ist schon jetzt Realität.

Photo by Pavel Danilyuk: https://www.pexels.com/photo/space-dark-sun-moon-7108416/

Forschenden ist es gelungen, eine Maschine zu entwickeln, die die Bedingungen in einer Gebärmutter nachahmt. Das eben beschriebene Lamm wurde ungefähr in der 17 Woche dem Mutterschaf per Kaiserschnitt entnommen und in diese künstliche Gebärmutter überführt.

Diese Technologie ist jedoch noch weit davon entfernt, eine komplette Schwangerschaft zu ersetzen. Aber man sieht Potenziale in der Versorgung von extremen Frühchen. Derzeit haben Babys, die vor der 22. Schwangerschaftswoche geboren werden, kaum eine Überlebenschance. Auch wenn Frühchen, die nach der 23. Woche geboren werden dies überleben, so könnten sie bleibende Schäden davontragen. Die Forschenden rechnen damit, dass diese Technologie in zehn Jahren zum Einsatz kommen könnte.

Frühschwangerschaft

Andere Wissenschaftler haben dieses Thema gewissermaßen von der anderen Seite angepackt: In Israel ist es gelungen, die Frühschwangerschaft in einer künstlichen Gebärmutter zu simulieren. Allerdings nicht bei Schafen, die eine sehr lange Tragzeit haben, sondern bei Mäusen. Deren Schwangerschaft dauert nur rund 20 Tage an. Die israelischen Wissenschaftler konnten die Mäuse 12 Tage lang in einer künstlichen Gebärmutter reifen lassen. Rund die Hälfte der Schwangerschaft. Die kleinen Dinger wiesen einen Herzschlag auf und sie begannen, Gliedmaßen auszubilden.

Versorgt wurden sie hierbei durch ein Blutserum aus menschlichen Nabelschnüren und Sauerstoff, was unter Druck mit in die Behältnisse hineingegeben wurde, in denen sich die Embryonen befanden. Eine Art künstliche Plazenta gab es nicht, die Nährstoffe und der Sauerstoff wurden mittels Diffusion aufgenommen. Daher starben die Mäuseembryonen auch, als sie zu groß wurden, um eine solche Aufnahme zu ermöglichen.

Ziel dieses Experimentes war es vor allem, unser Verständnis von der Entwicklung bei Säugetieren zu verbessern und zu erforschen, wie sich Nährstoffversorgung und Umwelteinflüsse auf den Fötus auswirken. Die Forschenden konnten beobachten, wie sich Organe bilden und anfangen zu arbeiten.
Außerdem könnten solche Embryonen gezüchtet werden, um Gewebe für medizinische Behandlungen zu erhalten. Beispielsweise könnte man Leber- und Bauchspeicheldrüsenzellen gewinnen, um diese für die Transplantationsmedizin zu nutzen.

Dystopisch oder utopisch?

Ist diese Technologie ethisch verwerflich? In jedem Fall für die meisten eine gruselige Vorstellung, vor allem deshalb, weil man sie vor kurzem noch für Science-Fiction hielt, und nun baut sie sich vor einem auf – plötzlich viel realer, als es uns lieb ist.
Gleiches galt vor einigen Jahrzehnten aber auch für die künstliche Befruchtung. Heute ein fast schon alltägliches Vorgehen, über das sich nur noch wenige aufregen. Im Prinzip sorgt diese künstliche Gebärmutter für die Frühschwangerschaft lediglich dafür, dass die Embryonen noch länger im Labor verbleiben könnten.

Photo by Chokniti Khongchum: https://www.pexels.com/photo/scientist-using-microscope-3938022/

Okay, der Zweck ist ein vollkommen anderer, als bei einer künstlichen Befruchtung. Dort sollen lebendige Embryonen entstehen, die ausgetragen und geboren werden, um anschließend als normale Menschen aufzuwachsen. Wenn man Embryonen hingegen züchtet, um Gewebe für medizinische Zwecke zu gewinnen, ist es etwas ganz anderes.

Eine Abtreibung ist derzeit bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt. Allerdings wird dort das Wohlergehen der Mutter direkt gegen den ungewollten Fötus abgewogen und obwohl das Leben der Mutter stets schwerer wiegen sollte, sieht man auch das ungeborene Kind als ein lebendiges Wesen an.

Bei einem Embryo, der allein für medizinische Zwecke geschaffen wird, sprechen wir ihm von vornherein das Potenzial eines lebendiges Wesens ab, dass das Potenzial in sich trägt, ein Bewusstsein zu entwickeln, eines Tages Gefühle und Emotionen zu haben und heranzuwachsen. Es ist kein potenzieller Mensch. Es ist ein Zellhaufen.

Aber auch beim medizinischen Einsatz befindet sich auf der anderen Seite der Waagschale ein anderer Mensch, dessen Leben vielleicht von dem gewonnen Gewebe abhängt. Und um das Ganze persönlich werden zu lassen: Stell dir vor, bei diesem anderen Menschen handelt es sich um dein Kind. Und ohne dieses Gewebe würde dein Kind leider oder könnte sogar sterben.

Als eine Lösung wird vorgeschlagen, die menschlichen Embryonen, die zu medizinischen zwecken gezüchtet werden, genetisch so zu manipulieren, dass das Herz niemals anfangen würde zu schlagen.

Einsatz beim Menschen?

Theoretisch ist es durchaus vorstellbar, dass irgendwann eine künstliche Gebärmutter genutzt werden kann, um eine menschliche Schwangerschaft zu ersetzen. Welche Folgen könnte die Verfügbarkeit für unsere Gesellschaft haben?

Komplikationen und Medikamente

Vom Bauchgefühl her möchte man im ersten Moment zurückweichen. Embryonen, die in Säcken außerhalb des Körpers heranwachsen, das klingt im ersten Moment fürchterlich falsch. Herzlos und entmenschlicht.

Wenn man einen Moment darüber nachdenkt, könnte eine solche Technologie durchaus sinnvoll sein. Beispielsweise dann, wenn die Mutter auf Medikamente angewiesen ist, die nicht mit einer Schwangerschaft vereinbar sind. Oder auch, wenn während der Schwangerschaft eine derart schwerwiegende Komplikation festgestellt wird, dass das Leben von Mutter und/oder Kind in Gefahr wäre. Immer wieder hört man beispielsweise von Fällen, in denen bei einer schwangeren Frau Krebs festgestellt wird und die werdende Mutter sich nun entscheiden muss, ob sie ihre Therapie bis nach der Geburt verschiebt, oder die Schwangerschaft vorzeitig beendet.

Photo by SHVETS production: https://www.pexels.com/photo/focused-pregnant-black-woman-taking-vitamins-on-couch-6991899/

Eine solche Technologie brächte neue juristische Herausforderungen mit sich. Stellen wir uns vor, eine Frau mit Alkoholsucht wird ungeplant schwanger. Sie würde zwar versuchen, dem Alkohol zu entsagen, doch sehr schnell stellt man fest, dass es ihr nicht gelingt. Gleichzeitig weigert sie sich, das Kind abzutreiben. Könnte man dieser Frau das Kind unter Zwang entnehmen, damit es in einer künstlichen Gebärmutter heranwächst, um so vor dem schädlichen Einfluss des Alkohols geschützt zu werden? Würde das Trinken der Mutter dann nicht unter mutwillige Körperverletzung fallen?
Und wo würde man die Grenze ziehen? In der Schwangerschaft sollte man möglichst auf jegliche Medikamente verzichten. Manchmal geht das jedoch nicht, und dann muss man zwischen dem Risiko für das Kind und dem Wohlergehen der Mutter abwägen. Wann ist das Risiko durch Medikamente groß genug, um eine erzwungene Entnahme aus dem Mutterleib zu rechtfertigen? Ab welchen Punkt kann man sich über den Willen der Mutter hinwegsetzen und über ihren Körper bestimmen, um das ungeborene Kind zu schützen?

Umwelt und Reize

Ein weiterer Punkt sollte beim Einsatz einer künstlichen Gebärmutter betrachtet werden: Nämlich, welche psychologischen Aspekte damit einhergehen. Schon im Mutterleib bekommt das Kind sehr viel mit. Es hört die Stimme seiner Mutter und seiner Familie, es weiß bei der Geburt auch schon, wie seine Mutter riecht. Es spürt ihre Bewegungen. Was würde es mit einem Baby machen, wenn diese Reize komplett wegfallen würden? Könnte man sie ersetzen?

Und sollte man in dieser Diskussion nicht auch die Bildung von der Mutter zum ungeborenen Kind betrachten?

Während einer Schwangerschaft wächst das Kind langsam in ihr heran und sie spürt die Tritte des Kleinen. Hier kann man auch schon unterschiedliche Charaktere beobachten. Manche Babys sind sehr aktiv im Bauch und halten die werdende Mutter nächtelang wach. Andere so ruhig, dass man sich zeitweise Sorgen macht, wenn die Bewegungen ausbleiben. Manche boxen mit voller Kraft gegen die Pads des CTG, andere scheinen eher auszuweichen. Schon während der Schwangerschaft entsteht eine Bindung zwischen Mutter und Kind, die im Fall einer künstlichen Gebärmutter wegfallen würde.
Auf der anderen Seite: Väter haben all diese Erfahrungen nicht und bauen dennoch eine liebevolle Bindung zu ihrem Kind auf. Gleiches gilt für Adoptiveltern.

Künstliche Gebärmutter auf Wunsch

Aber es gibt noch weitere Szenarien zu bedenken: Stellen wir uns einmal vor, dass diese Technologie zu 100% sicher ist – so eine Schwangerschaft ist für viele Frauen kein Spaziergang. Die strahlende Schwangere, die lächelnd durchs Leben tanzt, ist ein Bild aus Filmen oder Hochglanzmagazinen. Das wahre Leben sieht meistens anders aus. So eine Schwangerschaft ist verdammt anstrengenden. Und hinzu kommt die Geburt, welche für Mutter und Kind eine extreme körperliche Belastung ist, die auch heute noch zahlreiche Risiken birgt. Vielleicht gibt es viele Frauen, die sich zwar ein Kind wünschen, aber auf die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt verzichten möchte. 

Manche haben vielleicht schon ein Kind und die erste Schwangerschaft oder die Geburt als extrem traumatisch erlebt. Sollte man den Frauen diese Technologie vorenthalten?

Kind und Karriere

Nun stellt sich die Frage, ob sich jeder den Einsatz einer künstlichen Gebärmutter leisten könnte, oder ob dies nur Frauen mit Geld vorbehalten ist. Aber wenn sie für jeden verfügbar wäre: Entstände dann nicht vonseiten der Arbeitgeber ein gewisser Druck, diese Technologie dann auch zu nutzen? Gäbe es überhaupt noch eine Wahl, oder würde der Erwartungsdruck nicht schon die Entscheidung erzwingen? Wie rückständig wäre es, wenn man sich in solchen Zeiten entscheidet, selbst schwanger zu sein, anstatt endlich die Freiheit zu nutzen, sich auf seine Karriere zu konzentrieren?

Ein unwahrscheinliches Szenario? Ich bin mir dessen nicht so sicher, denn schon heutzutage wird uns mit ziemlichem Erfolg verkauft, dass »Karriere« und »Selbstverwirklichung« Synonyme sind.
Seien wir ehrlich: Die wenigsten können sich über ihre Arbeit selbstverwirklichen. Die meisten sind lediglich winziges Rädchen im Getriebe der Wirtschaft. Und anstatt die Mühen (aber auch Freuden) einer Schwangerschaft auf sich zu nehmen, könnte von der werdenden Mutter erwartet werden, weiterhin ihre Rolle als (optimiertes?) Wirtschaftsgut auszuführen.

Nehmen wir Social Freezing als Vergleich.

Hierbei lassen Frauen im jungen Alter Eizellen einfrieren, um später bei einem Schwangerschaftswunsch auf diese zurückgreifen zu können. Derzeit ist dieses Verfahren nicht kostenlos verfügbar. Es gibt jedoch Diskussionen darüber, dass Krankenkassen zukünftig die Kosten hierfür übernehmen sollten. Einige sprechen sich dafür aus, andere sind klar dagegen.

Gleichzeitig bieten einige Konzerne wie Apple oder Facebook an, ihren Mitarbeiterinnen Social Freezing zu bezahlen.

Bisher gibt es keine umfassende Statistik, doch es wird geschätzt, dass die Zahl der Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, in Deutschland bei unter 10.000 pro Jahr liegt. Man geht jedoch von einer steigenden Tendenz aus.

Für die meisten Frauen ist Social Freezing also ein Thema, mit dem sie sich nicht befassen. Ein Zwang besteht für die Masse nicht. Aber wie sieht es bei jenen Frauen aus, bei denen die Firmen die Übernahme der Kosten anbieten? Können auch sie noch frei entscheiden, oder herrscht dort schon ein gewisser Erwartungsdruck?

Andere argumentieren auch hier, dass diese Technologie Freiheit für Frauen bedeutet. Ab 35 Jahren nimmt die Fruchtbarkeit drastisch ab. Mit Social Freezing könnte man diese Zeitspanne ein wenig verlängern. In einer Studie über Social Freezing wird der fehlende Partner als ein Hauptmotiv für den Einsatz dieser Technologie genannt.

Und auch andere Szenarien sind vorstellbar: Bei einer Frau in den 30ern wird Krebs festgestellt. Die Behandlung wird einige Zeit in Anspruch nehmen, doch die Frau wünscht sich noch Kinder. In diesem Fall übernimmt die Krankenkasse auch tatsächlich die Kosten – und man spricht nicht mehr von Social Freezing, sondern von »Medical Freezing«.

Schlusswort

Fassen wir zusammen: Mit der künstlichen Gebärmutter wäre es, wie mit vielen anderen Technologien, einschließlich der Gentechnik: Sie könnte Leben retten und einzelnen Menschen großes Leid ersparen. Aber wie immer gibt es auch Schattenseiten – diesen hängen aber wie so oft davon ab, was wir als Gesellschaft daraus machen.

Um zum Schluss noch mal auf Brave New World zurückzukommen: Im Buch wird schon im Embryonenalter festgelegt, in welche Kaste das Kind später gehören soll und entsprechend wird über die Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen die Entwicklung des Kindes begünstigt oder gehemmt. Theoretisch wäre dies natürlich auch bei den Embryonen in der künstlichen Gebärmutter möglich. Allerdings würde man ein solches Vorgehen nicht mit unseren derzeitigen Gesetzen in Einklang bringen können, sodass ich ein derartiges Szenario als unrealistisch erachte.

Mich beschäftigen eher die zuvor geschilderten Szenarien: Wann würde man einer Frau unter Zwang das Kind entnehmen, um es vor dem schädlichen Einfluss seiner Mutter zu schützen? Und wenn diese Technologie verfügbar wäre, entstände dann nicht auch ein gewisser Druck, sie auch zu nutzen?